«Rohkost-Eidgenossen»: Hehre Ziele, aber fragwürdige Mess- und Marketingmethoden
«Watercooling 37°» heisst eine Ölpresse, die damit den Eindruck vermittelt, dass das Öl in dieser Presse nicht über 37° erhitzt wird. Das Öl daraus wird als „Rohkostqualität“ beworben.
Die Bezeichnung Rohkost oder roh bei Speiseölen ist ein Versuch, sich gegenüber dem Begriff „kaltgepresstes“ Öl abzuheben, der amtlich für den Bereich unter 50°C gilt. (kaltgepresst ist Speiseöl wenn: 1. es durch Pressung oder Zentrifugierung aus zuvor nicht erhitzten Rohstoffen gewonnen wurde, 2. die Temperatur bei der Pressung 50 °C nicht überstiegen hat, 3. es keiner Raffination, d. h. keiner Neutralisation, keiner Behandlung mit Adsorbentien, Bleicherde und keiner Ausdämpfung unterworfen wurde – Verordnung des EDI über Speiseöl, Speisefett und daraus hergestellte Erzeugnisse, Art 3, Abs 3 a). Von vielen Rohköstlern wird aber behauptet, der Begriff «kaltgepresst» gelte bis zu Presstemperaturen von 190°C. Dies stimmt zumindest in der Schweiz nicht.
Seit kurzem gibt es die private Initiative einer Schweizer Konvention für Rohkost. Schon der Name „Schweizer“ Konvention suggeriert einen amtlichen Hintergrund. Die Teilnehmer dieser Konvention beschwören sich auf den Hippokratischen Eid für Lebensmittel- bzw. Rohkosthersteller. Dies ist ein weiterer etablierter Begriff, der sicherlich anregende Assoziationen vermittelt aber in diesem Zusammenhang unseriös und nachahmerisch wirkt. Die plumpe Übernahme in einen anderen Kontext könnte auch rechtlich kritisch sein. Der griechische Text in seiner ursprünglichen Fassung gilt als erste grundlegende Formulierung einer ärztlichen Ethik. Die Lauterkeit der Übernahme dieses Textes für den Lebensmittelbereich ist insofern fraglich, als die gültigen Gesetze das Ausloben von gesundheitlichem Nutzen von Lebensmitteln im Sinne des Konsumentenschutzes klar einschränken und regeln.
Der Forderung nach Lebensmitteln und Speiseölen, die zwischen Feld und Esstisch nie mehr als auf 37° Celsius erwärmt oder erhitzt wurden, wird die praktizierte Messmethode bei diesen wassergekühlten Ölpressen nicht gerecht. Die Daten werden offensichtlich nicht an den relevanten Stellen erhoben, wo das Saatgut die grösste Erwärmung erfährt, nämlich im Presszylinder. Ebenso wird die Auslauftemperatur nicht beim Austritt aus dem Presszylinder gemessen, sondern in einem beachtlichen Abstand im Schlauch, der das frisch gepresste Öl in den Auffangbehälter führt. Wirklich bedeutend ist die Temperatur im Presszylinder. Über die erfährt der von der Apparatur vielleicht beeindruckte Konsument bei der Vorführung der Ölpresse live oder via Dokumentation aber nichts. Auch der Ölpresser wird sie wohl nicht in Erfahrung bringen, da der ganze Presszylinder von einer Kühlmanschette umgeben und nicht zugänglich ist. Ist die Auslobung dieser Auslauftemperatur Konsumententäuschung? Das Subjektiv Rohkost oder das Adjektiv roh sind keine staatlich geschützten Begriffe (wie BIO es ist) und eröffnet somit einen Anreiz für Interpretations- und Gestaltungsspiele, nicht zuletzt, wenn man diesen Begriff auf Speise-Öle bezieht. Beim Pressen eines Öles entsteht immer Wärme, was aus physikalischer Sicht unvermeidbar ist. Man kann die Temperatur durch Pressdruck bzw. -geschwindigkeit beeinflussen. Ebenso besteht die Möglichkeit, mit Kühl- oder Wärme-Manschetten zu arbeiten, abhängig von den qualitativen Zielen eines Pressvorgangs.
Um die Presstemperatur zuverlässig und nachvollziehbar zu ermitteln, muss man diesen Wert im Presszylinder selbst ermitteln, also am Ort, wo definitiv die grösste Prozesswärme entsteht. Zwischen der Temperatur im Presszylinder und der Auslauftemperatur liegt je nach technischer Ausrüstung bereits ein relevantes Temperaturgefälle vor. Die Presstemperatur wird durch den Durchmesser von Pressschnecke und Presszylinder und durch die Umdrehungszahl bestimmt. Wenn eine kleine Presse einen hohen Durchlauf hat, erwärmt sich der Presskopf und der Zylinder stärker als bei einer grossen Presse. Es ist somit fast unvorstellbar, dass die relativ kleinen „watercooled 37°“ Ölpressen, die da und dort im Schweizer Markt im Umlauf sind, mit einer Leistung von 14-16 Liter pro Stunde wirklich „kalt“ oder auch nur „kälter“ pressen. Die Kühlmanschette hat wohl einen Einfluss auf die Temperatur des auslaufenden Öls aber nicht sehr wesentlich auf das Klima im Presszylinder.